In my home country, I’m a superhero

Vorvorletzte Woche ritt ich auf einem persischen Kriegselefanten nach Konstantinopel. Also, fast. Ich flog zusammen mit zwei Freundinnen nach Istanbul, um eine weitere Freundin zu besuchen, die dort das letzte halbe Jahr an der Marmara Universität irgendwelche Dinge tat, die so grob dem entsprechen, was sie sonst in Fulda tat. In Fulda hatten wir sie nie besucht, was aber tatsächlich nicht an ihr persönlich lag.

 

 

Ich war tatsächlich ziemlich aufgeregt, weil ich noch nie in der Türkei war und überhaupt eigentlich noch gar nicht in der Nähe. Letztendlich wäre ich vielleicht auch nicht auf die Idee gekommen, dort hin zu reisen, da meine Reiseplanungshirnabteilung meistens damit beschäftigt ist, Asiatisches, Kaltes und Angloamerikanisches attraktiv zu finden. Insofern hatte ich keine Ahnung von türkischen Dingen vorher, jetzt hab ich immerhin sehr wenig Ahnung und weiß, dass man für lustige Bonusszene während der Reise am besten jemanden mitnimmt, der „Anne“ heißt. (Was wohl auf türkisch „Mutter“ bedeutet. Das wissen aber wahrscheinlich alle Menschen außer mir. Ich wusste das nicht.) Außerdem war ich überhaupt fast noch nie für eine ganze Woche in einer Stadt. Einmal war ich über eine Woche in Hamburg, aber das gilt nicht, weil es sich in diesem Fall ausnahmsweise nicht um eine diplomatisch motivierte Bildungsreise handelte.

 

 

 

Dieses Mal aber schon. Insofern flogen wir mit einer erstklassigen Chartermaschine, die sonst hauptberuflich etwa alle zweieinhalb Minuten nach Antalya fliegt, nach Istanbul, wie sich das gehört mit einer Delegation von passionierten Landungsklatschern. Danach wurden wir von der zu besuchenden Auslandskorrespondentin empfangen, die fand, das Flughafenshuttles zu teuer waren und uns folglich mitnahm auf eine wundersame Reise in einem verzauberten Linienbus, der so verzaubert war, dass er nur zwei Stunden brauchte und trotzdem nicht über genügend Sitzplätze verfügte. Letztendlich erreichten wir etwa um Mitternacht unser Appartement im idyllischen Tarlabaşı. (Ich weiß nicht viel über türkische Aussprache und so, und wurde das „ş“ als „sch“ und das „ı“ als Laut zwischen „i“ und „e“ erklärt, also etwa Tarlabasche, genau weiß ich das aber nicht.) Das idyllische Tarlabaşı liegt ziemlich im Zentrum, ein paar hundert entfernt vom Taksim Platz, aber es ist dann doch eher so mittelnett. Also, es gibt schöne bunte Wäscheleinen und bis nach Mitternacht spielen Kinder auf der Straße, aber sonst eben auch viel Kaputtes und Bevölkerungsgruppen, die Istanbul angeblich von dort wegtreiben will, um Tarlabaşı systematisch aufzuprotzen. Zum Teil sieht man auch schon moderne Häuser und Baustellen mit Tafeln, die irgendwas mit urban und modern versprechen, dahinter verspricht es aber noch genügend Spannung, wenn man nachts durch die Gassen reisen darf. Wir gefährlich es tatsächlich ist, kann ich nicht beurteilen, vielleicht aber derjenige, der es für klug hielt, ein Appartement mit einer Tür mit sechseinhalb Riegeln und Gittern vor den Fenstern zur Straße auszustatten.

 

 

 

 

Außerhalb von den Riegeln ist es es übrigens durchaus gefährlich. Besonders für den Verstand. In Istanbul gibt es nämlich sehr viele Menschen. Und sehr viele Autos, obwohl die Spritpreise deutlich höher sind als in Deutschland. Eigentlich wird man die ganze Zeit fast überfahren, beziehungsweise man überschreibt zunächst die Straßenüberquerungsroutine mit dem Grundsatz, dass jeder das Recht hat, jedes Stück Straße zu begehen oder zu überqueren. Bereits die Basisform des Fußgängers™ besitzt besonders stark ausgebildete Sneak und Agility Fähigkeiten, womit das alles problemlos möglich ist. Vorsicht ist dennoch geboten, oft sind schwierigere Querungssituationen von dämonischen Irrlichtern behütet, deren grünes Licht dazu neigt, die Perceptionskills des Fußgänger™ zu vernebeln und ihn in tödliche Todesgefahr zu bringen. Oh, und Autos hupen sehr viel. Immer. Aus allen Gründen und auch aus keinen, vielleicht mag man auch einfach das Geräusch.

 

Hier ist ein ungeschnittenes Video der oben erwähnten Anne, während der täglich mehrmals erforderlichen Überquerung der/des/dings Tarlabaşı Caddesi. (Mein Kopf hat einen Cameo-Auftritt, am Ende in dem Teil, der weggeschnitten werden sollte, auch meine Beine.)

 

 

 

Well, that was interesting. Kommen wir nun zu den blöden Dingen: Menschen. Wie erwähnt, gibt es is Istanbul so viele Menschen. Ich war schon an anderen Orten, an denen es viele Menschen gibt. Ich war zum Beispiel in Manhattan, in Bangkok oder Samstagnachmittag bei H&M, aber nie hat mich die Masse so gestört wie in Istanbul. Man hat eine Fußgängerzone, weitaus schmäler als die Deutsche Industrienorm für Fußgängerzonen, daraus aber so viele Menschen, als hätte mal den Inhalt einer solchen Fußgängerzone kopiert und wäre anschließend mit dem Gesicht auf Cmd/Ctrl und V in ein mehrjähriges Koma gefallen. Und dann legt man eine Straßenbahnlinie in die Mitte. Anschließend lässt man Autos queren. Es ist ein bisschen wie Sim-City, wenn man die Katastrophen deaktiviert hat, aber die Einwohner dennoch auf eine unterhaltsame Weise ein bisschen hassen möchte.

 

 

 

 

Na, vielleicht bin ich ein bisschen negativ. Istanbul ist eine sehrsehr interessante Stadt, das Essen ist gut. Er gibt viel Fisch, der oft billiger ist als Fleisch, es gibt Wasser, und gutes Essen, besonders das türkische Frühstück einmal, in Kadıköy war super und billig. Und einmal fuhren wir nach Büyükada, auf die größte der Prinzeninseln, das war auch schön, und die drei Sorten türkisches Bier, die ich probierte, waren in Ordnung, und der Tee ist auch lecker, auch wenn ich ihn nicht so heiß trinken konnte, wie man wohl soll. Ich würd auch wieder hin. Aber halt mit Männern.

 

Und das ist eigentlich der Punkt, der mich auch Wochen später einfach unglaublich stört. Gestern erst habe ich meine Reisegruppe wiedergetroffen, wir haben uns dann erneut gemeinschaftlich aufgeregt. Es ist schön, dass es wohl nicht nur mich störte. Ich war schon in Asien in ein paar Ländern, deren Hauptreligion der Islam ist, insofern war ich ein bisschen überfordert mit den Zusammenhängen zwischen Religion, Kultur und Gesellschaft, weil es doch alles mehr anders war als erwartet. In einer Woche Istanbul sah ich weniger arbeitende Frauen mit Kopftuch als an einem Tag in Bandar Seri Begawan. Das war seltsam, weil mir alles ein bisschen entweder/oder schien, und ich mehr dazwischen erwartet hätte. Allerdings kann ich ja auch nicht in alle Büros und so weiter reingucken und mir weiterhin einfach einreden, dass Religionsdinge und gesellschaftliche Position wirklich nicht so stark miteinander zu tun haben, wie es auf den ersten Blick aussieht.

 

 

 

 

Männer sieht man ja gerade genug auf der Straße. Und das macht dann nicht so viel Spaß, wenn man ohne eigenen männlichen Personenschutz unterwegs ist. Vor allem, weil der Großteil meiner Reisegruppe über deutlich hellere Haare als ich verfügt, und das erregt wohl auch zusätzliche Aufmerksamkeit. Zunächst ist das das penetrante Starren. Das kann man sich entweder quantitativ auf der Straße abholen, von zehn in Hauseingängen rumhängenden Männern gleichzeitig, oder auch qualitativ, sofern man sich irgendwo hinsetzt und dann richtig lange. Gerne auch mal eine halbe Stunde lang. Innerlich war ich nach ein paar Tagen so wütend, dass ich gerne mit zwei erhobenen Mittelfingern durch die Straßen gezogen wäre, aber in der Praxis bin ich eher feige und lebe wohl auch deshalb noch. Man sagt, man soll die Kerle in so einem Fall gar nicht angucken, Blickkontakt ist nämlich die falsche Richtung, also guckt man halt auf den Boden. Das war einfach für mich, weil ich das meistens tue, für alle anderen der Welt dürfte es doch ein wenig unterwürfig gewesen sein. Dann ist da das Angelabere, das Imitieren irgendwelcher seltsamen Tiergeräusche und das Nachrufen. LAYDE LAYDE LAYDE. Das können auch schon Achtjährige einwandfrei praktizieren, während ihnen für das penetrante Starren noch der todernste Gesichtsausdruck, beziehungsweise die todernsten Augenbrauen fehlen. Die besuchte Auslandskorrespondentin hat erzählt, sie könne sich nicht mal zum Lesen allein raussetzen, weil spätestens nach einer Viertelstunde die dunkle LAYDE LAYDE SEX LAYDE SEX Wolken aufziehen. Könnteste Kotzen, ganz ehrlich. Und dann läuft einmal ein Junge mit rum und alles ist gut.

 

 

 

Ist das nicht schrecklich traurig? Da sind Millionen von okayen Menschen und trotzdem scheint fühlt man sich verfolgt von dem kleinen Prozentsatz derjenigen, für die weibliche Touristen etwa Parade zwei Quadratmeter großer Filet Mignons darstellen. Oder andere Dinge, die ich hier nicht schreibe, weil dann kommen Leute über seltsame Suchanfragen hierher und sind sehr traurig, dass sich nicht das finden, was sie suchten und niemand will, dass das Internet Leute traurig macht. Aber ihr könnt euch das selber vorstellen und ein Bild darüber malen. Oder ihr malt ein Bild von Steaks. Das würde mich auch beeindrucken. <3

 

Und ich stellte fest, dass ich wohl niemals mit Rucksack um die ganze Welt ziehen kann, weil es alleine als Frau in weiten Teilen der Welt keine so gute Idee wäre. Gut, das wusste ich im Prinzip schon vorher, aber selbst so ein bisschen unbegründete Respektlosigkeit abzubekommen, ist nochmal ein wenig ätzender. Und jetzt finde ich die ganze Welt ein bisschen so, als wäre ich Pokémontrainer und Reisegruppenjungs die VM Zerschneider. Aber mit bleiben ja noch westliche Länder. Und Asischmasien. Mag das ja eh. Und jetzt noch mehr Bilder. Yay. (Ja, ich bin ein bisschen wasserfixiert. Immer.)

 



 

 

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