Bildungsfahrt

Als ich Berlin das vorletzte und erste Mal sah, war ich fünfzehn, trug ich eine Zahnspange, eine allgemein als schrecklich hässlich angesehen Mantel, einen verschnittenen Pony und hellgrüne Turnschuhe. Es regnete, war unglaublich kalt und ich hatte eine Pentax Optio S4, die beim Auslösen miauen konnte. Außerdem gewann ich eine Dönerwette gegen eine Lehrerin. Politische Bildungsfahrt, 10. Klasse. Das macht man ja so. Hier ist ein Bild zur Veranschaulichung. (Das war vor dem Reichstag. Jetzt ist da alles abgesperrt und man kann da nicht mehr so rumsitzen.) Außerdem sind die restlichen Bilder in diesem Eintrag so, wie ich sie mit fünfzehn bearbeitet hätte, wenn ich dazu mal Lust gehabt hätte.

Letztens war ich wieder auf Klassenfahrt. Oder so etwas Ähnlichem. Ich wurde zu Beginn des Semesters, beim Grillfest für Erstsemestermenschen, die ich davor als Tutor sicher ganz schrecklich verwirrt hatte, dreist überredet. (Entscheidungen, die nicht mit der Existenz von Freibier korrelieren.) Von Menschen aus meinem Semester und von welchen aus meinem Semester plus zwei. Sie würden zum Google Developer Day nach Berlin fahren, und man könne sich anmelden und eigentlich würden sie jeden nehmen und dann fährt man Ende November nach Berlin. Supertoll. Wie Klassenfahrt!

Übrigens nehmen sie gar nicht jeden. Leute, die wie ich die Anmeldung etwas aufschieben wegen der nicht ganz so schnell zu beantwortenden Anmeldebogenfragen („Nennen Sie einen Magic Moment, den sie mit einem Google Produkt erlebt haben“ und so), diese Leute nehmen sie nicht. Also, beziehungsweise waren bis dahin schon alle verfügbaren Plätze belegt. Tja. Reisedinge schon gebucht gehabt. Aber das ist okay. Schließlich war ich in hunderttausend Städten schon öfter als in der eigenen Hauptstadt.
Klassenfahrtmäßig reiste ich zunächst mit einem InterCityExpress der Deutschen Bahn. Das war interessant, da ich nämlich seltener richtigen Zug fahre als indische Kinderarbeitslumkinder. Das liegt daran, dass ich meistens für den gleichen Preis den Zeitraum, den ich neben einem völlig fremden Menschen sitzen muss, drastisch verkürzen kann. Das ist meistens wichtig.
Aber bei einer Klassenfahrt sind ja Leute dabei, die man kennt, dann kann man auch mal Zug fahren.

An sich überfordert mich Berlin ein bisschen. Ich fühle mich dort weitaus orientierungsloser und fremder als in London oder Manhattan. Vermutlich, weil ich außer den Dingen, die alle wissen, eigentlich nichts über Berlin weiß. Das ist aber auch nicht uninteressant. Nur eben fremd. Vielleicht steigere ich da jetzt auch rein, weil von der Currywurst, die ich aß, die Soße nur wie Ketchup schmeckte. Und weil uns ein Barmann um drei Uhr nachts in einen Schawarma-Laden schickte und die Schawarmas dort komplett doof und wohl falsch waren. Oder als uns Leute sagten, sie würden uns am H&M in den Hackeschen Höfen treffen, wir ungefähr zweiundneunzig Berliner fragten, wo der denn sei, und die vehement die Existenz eines H&Ms abstritten. Schließlich fanden wir ihn selbst. Recht auffällig, wenn man weiß, wo. Als ob die uns absichtlich verarscht hätten, die Berliner. Vielleicht zeichnen sie deshalb auch ihren U-Bahn-S-Bahn-Plan hauptsächlich in der gleichen Farbe.
Zumindest haben sie sehr schöne Unterkünfte. Aber ein bissen hatte ich „only partially the hippest place to be“ aus diesem (sonst deutschsprachigen) Lied über Berlin von dieser deutschen Band da, die eh alle vom Namen her kennen im Kopf.

Nach zwei Tagen Unileuten um mich herum, kam Besuch aus Hamburg. Das war sehr gut. Wir wurden zum Beispiel von einem Thai-Singapur-Asiatenmann in eine Falle gelockt und mit so viel gutem zum Teil kostenlosen Essen vollgestopft, dass die Menschen an den umliegenden Tischen zu Weinen begannen und und beim Verlassen der Lokalität Morddrohungen zusteckten. Oder so ähnlich. Wir tranken Alkohol in seltsam aber gut eingerichteten Gastronomiebetrieben mit langen Namen („An einem Sonntag im August“) und konnten dann zu Fuß zurück zum Hostel gehen. Mitten in der Nacht um sechs Uhr morgens reiste dann mit Miri das letzte München (außer mir (aber ich bin ja auch eher so Fürstenfeldbruck)) ab, um spaßige Prüfungen gegen Berlins zu tauschen.

Montagmorgen bekamen wir dann überraschend ein Telegramm und mussten so schnell wie möglich einem Schmugglerring, der sich in einem verlassenen Fabrikgebäude versteckt hatte, auf die Spur kommen. Lust, grundlos in verlassenen Fabrikgebäuden rumzukriechen. Primär, um Fotos zu machen, sekundär um uns den Arsch abzufriehren und tertiär, um von dänischen Journalistenschülern abgefangen und zur Manifestitation einer hippen urbanen Trendbewegung made in Berlin gearbeitet zu werden. (Das sind Annahmen.)
Das kann man auch nochmal in hübsch mit Bildern bei Pablo oder auch bei Rolf, wo man auch sieht, dass ich gut darin bin, Menschen in ihre Fotos reinzurennen.

Irgendwann danach gab es Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz. Damals, als es diesen Glühwein gab, war Weihnachtsmarkteröffnung und Glühwein war um einiges toller, als man ihn sich jetzt so vorstellt. Davon gibt es bestimmt auch wunderschöne analoge Fotos, die darauf warten, dann ich ihren Film fülle und teuer weiterverarbeiten lasse. Ursprünglich wollte ich mit dieser Sache hier warten, bis ich die habe. Dann ist aber wahrscheinlich schon Mitte Juni oder so.

Zurück flog ich mit einem Flugzeug. Und ich wurde von Hamburgjungs zum Flughafen eskortiert, mit einem Auto. Vermutlich ist das der brutale Bruch mit dem gesamten Klassenfahrtskodex. Zumindest bestraften mich die Klassenfahrtsgötter sofort mit der Tatsache, dass bei Air Berlin tatsächlich niemand den Air Berlin Song vorsingt.

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