Als ich 2017 alleine nach Japan reiste, dachte ich, ich würde eh jeden Abend in Hostels herumsitzen und das Reisetagebuchführen wäre überhaupt kein Problem. Es kam aber anders: Ich war oft lange unterwegs und musste/wollte früh raus, schrieb Texte noch schnell um 2 Uhr morgens, schlief zu wenig, wurde irgendwann sogar etwas krank – dann hab ich einfach so abgebrochen. Dieser Text lag noch in den Entwürfen, also kann ich ihn auch veröffentlichen. So. Besonders aus dem sehr, sehr amüsanten Grund, dass die erwähnte Zimmergenossin und der Raftboy letztes Jahr geheiratet haben und jetzt gemeinsam Rafting-Kurse geben. Sachen gibts!
Ich brach ganz früh auf, das ist jetzt mein neuer Lifestyle. Beziehungsweise der Lifestyle, der in Kraft tritt, wenn es um sieben eine gute Zug Verbindung gibt und dann nicht mehr.
Zufällig erwischte mich die Gästehausdame beim Herausgehen und bedankte sich mehrfach, dass sie mir in den letzten Tagen ein Haus, Obst und Bier geben durfte. Manchmal macht einen die Freundlichkeit ein bisschen verlegen. Ich kann weder adäquat auf Japanisch antworten noch hab ich ständig deutsche Süßigkeiten zum verschenken dabei, wenn mir jemand spontan japanische schenkt. Und selbst wenn, ich weiß nicht, ob eine halbleere Packung Fisherman’s Friend, die aussieht, wie mitgewaschen, den richtigen Nerv treffen würde.
Ich frage mich, was sie denkt, nachdem sie wahrscheinlich immer nur mich sieht. Meine werte japanische Zimmergenossin ist nach dem Barbeque am ersten Abend mit einem australischen (oder war er Kanadier?) Rafting-Kerl durchgebrannt und nahm wohn einen anderen Futon in Anspruch als den bei mir im Zimmer. Nachdem sie niedlich aussieht, freundlich ist und fließend Englisch sprich, war es auch nicht so verwunderlich, dass Mr. Raftboy mit ausgefahrenen Klauen beim Essen auf die zu stürzte und meinetwegen, mir egal. Ich hatte mich kurz in ein Gespräch involviert, da es auf Englisch stattfand, indem Raftboy seine Cap zurechtrückte und theatralisch mitteilte, dass er sein Philospohiestudium unterbrechen musste, um in die Welt zu ziehen und Menschen zu studieren. Offensichtlich besonders Menschen in Raftingbooten, denn wenn einer in tosesenden Wellen kopfüber vom Schlauchboot fällt, wird das Innerste seiner Seele sichtbar. Er lachte über meinen Uniabschluss. Ja stimmt, ich hab in den letzten Jahren weder japanische Toursitinnen noch ein Schlauchboot akquiriert und demnach auf ganzer Linie versagt. Ich fand es beachtlich, von so einem Klischee heimgesucht zu werden, aber ich kann mich auch nicht beschweren, dass ich ein Haus und eine Obst/Bier-verschenkende Gastmutter für mich alleine hatte.
Was ich hier nicht erwähnte, vermutlich, weil ich nicht wollte, dass sich jemand Sorgen macht: Das Barbeque fand auf einem Berg statt. Hoch fuhr meine Zimmergenossin und mich ein Japaner mit einem klapprigen Minitruck. Der Japaner fand die Zimmergenossin auch nicht so übel und hat sich folglich als Reaktion auf Raftboy in eine umgehende Alkoholtherapie begeben. Als das Barbeque zu Ende war, Rafty + 1 verschwunden, hatte ich drei Möglichkeiten: Bis zum Morgengrauen auf dem Barbeque-Berg ausharren, im Stockdunklen die Bergstraße durch den Wald watscheln (vermutlich voller Mamushi) oder mit einem Fahrer die Bergstraße runterpreschen, der nicht mehr wirklich gerade laufen konnte. Ich entschied mich für das am schnellsten vorbei-e Übel (er hat mich ausgelacht, weil ich mich angeschnallt habe), hatte aber noch nie so viel akute Angst um mein Leben. Eventuell konnte man meine post-traumatische Wut eben etwas rauslesen, ich gönne sonst natürlich jedem einen australischen Neoprenprinzen, falls das gewünscht ist.
Zug klappte problemlos, erst Tosa-Iwahara bis Awa-Ikeda im ワンマン, wie ich inzwischen endlich auch lernte. (wan-man, Ein-Mann-Zug) Inzwischen hab ich auch gelernt, dass die historischen Präfekturen auf Shikoku Iyo (Ehime), Sanuki (Kagawa), Tosa (Kōchi) und Awa (Tokushima), was die Bahnhofsnamen erklärt.
Ab Awa-Ikeda konnte ich mit einem Zug, dem Limited Express Tsurugisan (Yay, Eigennamenzug!) nach Tokushima fahren und kam gegen 11 an.
Viel zu früh zum Einchecken, also wollte ich mein Gepäck in eine Bahnhofsschließfach sperren, aber weil das von mir ¥700 wollte, ging ich zum zehn Minuten entfernten Hotel um zu betteln, ob sie nicht meinen Rucksack hüten wollen würden. Das Hotel ist ein abgewohntes, billiges Gebäude mit klebrigem Teppichboden, aber was letztendlich zählt ist ein sauberes Bett und dazu kommt ein eigenes Bad, also die Möglichkeit, die ganze Nacht ohne Rücksicht zu Duschen, Pinkeln oder die Zahnbürste am Waschbecken liegen zu lassen.
Der Besitzer war so nett, mir einen Becher Kaffee zu geben und mir anzubieten, dass ich für dreißig Minuten warten direkt in ein Zimmer dürfte. Das war sehr nett und hing wohl auch mit der Tatsache zusammen, dass andersfalls mein Rucksack sämtliche Fluchtwege in dem engen Gebäude blockiert hätte. Alles war gut, ich musste mir nur einen Vortrag anhören, dass ein Tag zu wenig für die Wunder Tokushimas seien, dass mein Plan für den Tag doof sei und wo man gut und preiswert Ramen essen kann. Letzteres wurde mir auf einer ebenfalls abgewohnten laminieren Karte gezeigt, auf der bereits Toyota-Verleihstationen eingezeichnet waren und sonst eigentlich nichts. Ich fotografierte sie mit dem Handy ab.
Mein Plan für den Tag war nämlich, nach Naruto zu fahren, dort, wo eine Autobrücke auf die Hauptinsel führt. Denn darunter bilden sich manchmal (besonders im Frühjahr und Herbst) Wasserwirbel. Das ist Gezeitenabhängig und dadurch auch Mondphasenabhängig, denke ich, und man kann sich im Internet Pläne mit mehr oder weniger lachenden Gesichtern angucken, wann an welchem Tag es was zu sehen gibt. Der Plan für meinen Tag hatte ein Medium-Gesicht und eine beste Zeit für 14:00.
Leider ist der Spaß eineinhalb Stunden Busfahrt entfernt und deshalb kann es sein, dass es Hotelbesitzer „doof“ finden aber ich bin leider manchmal beratungsresistent und Sehenswürdigkeiten mit Wasser sind mir die liebsten, also ließ ich die Wunder Tokushimas hinter mir um rechtzeitig zum Sonnenuntergang zurück zu sein, dafür wollte ich nämlich mit der Seilbahn auf so einen Aussichtspunkt fahren und Tokushima von oben angucken.
In Naruto gibt es Sightseeingboote zum Strudel angucken und einen Fußweg unter der erwähnten Autobrücke, von dem man runtergucken kann, zum Teil auch durch Glasscheiben im Boden. Ich wollte nicht schon wieder ein Boot zahlen, auf dem man wahrscheinlich nichts sieht und ging auf die Brücke, von der man auch nichts sah. Oder nur sehr wenig. Auch, wenn ich pünktlich um 14:10, der berechneten besten Zeit des Tages, da war, bei einem Medium-Gesicht: Hätte ich nicht gewusst, nach was ich suchen muss, wär mir nichts aufgefallen. Es war trotzdem sehr schön, das Meer unter sich zu beobachten, aber todesgefährlich aussehen Strudel gab es nicht zu sehen. Vielleicht mal im Frühjahr/Herbst, wurde gesagt. Kann sein, dass ich das bei anderen Gelegenheiten auch schon gehört hatte.
Ich fuhr früher als geplant zurück, weil ich da einen schnelleren Bus als geplant nehmen konnte und es war weit vor Sonnenuntergang. Nachdem Tokushima aber unerwartet größer war als gedacht, machte ich das, was alle coolen Kids mache: Ich hing im Kaufhaus ab. Leider gefällt mir immer sehr viel Kram in Japan, weil er sich auf verschiedenste Arten an mich ran macht: niedlich, praktisch, einfach, gute Qualität. Neben dem Angebot der kleinen Läden, die mir vermeintliche Einzelstücke und Souvenirs andrehen, sind meine ganz schlimmen monetären Pitfalls die Ketten Loft, Muji und Uniqlo. Ja, zum Teil gibts das auch außerhalb von Japan. Nein, das gilt keineswegs.
Als Rucksackgirl habe ich mir aber ein Embargo auferlegt, das besagt, ich darf unterwegs nur wirklich lokal beschränkte Souvenirs kaufen und Dinge, die ich unmittelbar brauche. Ich bin ja noch ein paar Tage in Tokio und kann da einen zweiten Koffer füllen. Außerdem kann das Embargo beschissen werden, wenn man sich geschickt anstellt. Klamotten, die man gleich anziehen kann, kann man nämlich vorbei schmuggeln ebenso wie Sonderangebote (denn die gibts vielleicht woanders nicht!). Außerdem drehte meine Haut im Gesicht ein paar Tage nach Ankunft durch und es wird nur langsam besser. Ich vermute, dass zunächst starke Schwitzen hat irgendwas überlastet, immerhin esse und trinke ich ja brav mildere Sachen als zuhause. Folglich hatte ich eine Sondergenehmigung zum Erwerb kosmetischer Produkte. Leider fand ich keinen Weg, mir quatschige Schreibwaren und Küchenutensilien zu erlauben. Aber: Nachdem mich alle Konbinis mit der Einstellung meiner Lieblingssnacks enttäuschten, die Schoko-Erdbeeren bei Muji gibts noch und sie sind noch immer besser als alle in Deutschland.
Damit fuhr ich mit der Seilbahn auf den Aussichtsberg und da passierte nichts besonderes, außer dass ich zum ersten Mal in Japan fror, bei 25 Grad und Wind. Witzig, vor ein paar Tagen wär mir da trotzdem noch das Wasser runtergelaufen.
Als letzten Punkt wollte ich das Ramen-Restaurant aufsuchen, denn werd friert muss bekanntlich sowieso Ramen essen. Nachdem das Kartenfoto aus dem Hotel neunzehnmal drehte und den Ausschnitt auf der Navigationsapp meines Vertrauens so ungefahr vielleicht fand, reiste ich zu Fuß zu jener Stelle, an der sich der Legende nach das Ramendings befindet. (Kann auch vollkomen falsch sein, aber eines der vielen Ramenhäuser war jedensfalls an einer ähnlichen Stelle.) Ich riss die Tür auf und dank meiner ausgezeichneten Kenntnisse der japanischen Sprache konnte mir deutlich mitgeteilt werden, dass es erst um acht, eine Stunde später, öffnete. Ich machte einen Zwangsspaziergang durch das Viertel und nachdem es unteranderem ein Fressviertel war, war es eine Belastungsprobe von religiösem Ausmaß. Es funktionierte. Vielleicht, weil es auch ein bisschen das Rotlichtviertel war und man sich die Schilder der Lokalitäten angucken kann und bei einer Runde „Puff oder Suff“ schnell die Zeit vergisst. (Offiziell ist Prostitution in Japan verboten. Offiziell. Man kann ein bisschen das Embargo bescheißen. Zum Beispiel mit Soaplands)
Ramen war dann lecker, Tokushima Ramen. Ich hatte Hunger und aß schnell, insofern hatte ich verpennt, dass noch ein rohes Ei hineingehört hatte, das mir aber keiner gebracht hatte, da die gierige westliche Kuh schon vor dem Ei in der Schüssel hing.
Morgen geht es zurück auf die Hauptinsel. Abends übernachte ich in Kyoto, aber wahrscheinlich mache ich einen Zwischenstopp in Takamatsu (da muss ich sowieso umsteigen) und gucke mir den Park dort an.
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