七日目/7 – Hiroshima – Matsuyama

Hallo, heute ist nicht so viel passiert. Auch schön.

Ich bekam damit, dass ich mein ursprüngliches Vorhaben, nochmal mit der ersten Fähre nach Miyajima zu fahren, dann zurück und gegen acht aufzubrechen, schwänzte und stattdessen länger schlief. Man muss wissen, die Nacht nach dem Feuerwerk war das Hostel komplett voll und ein Zwanzig-Betten-Schlafsaal mit einigen betrunkenen Menschen steht bei den Geheimrezepten für erholsame Nächte nicht unter den ersten fünf. Ich hab den ganzen Tag nicht viel von der Müdigkeit bemerkt, aber als der Wecker klingelte um 5:30 konnte mich der Wecker gelinde gesagt am Arsch lecken. Ich muss/will auch morgen und übermorgen früh aufstehen, dann kann ich auch einmal bis 9:00 pennen. Trotzdem schade wegen der Bambis.


Gut war aber, dass ich so dem Berufsverkehr aus dem Weg ging und in einem relativ leeren Zug nach Hiroshima fahren konnte, dann in einer relativ leeren Tram zum Hafen. Von dort gehen viele Schiffe und nach Matsuyama (auf Shikoku, Präfektur Ehime) gibt es im Wesentlich zwei Optionen, eine Autofähre (2:40h, 3600¥) und ein Speedboat (ca 1:10h, 7100¥). Da mir mir die eine Stunde nicht den doppelten Preis wert ist, entschied ich mich für die langsame Option. Was ich nicht wusste (Steht auf der Homepage, sieht aber wie ein Werbebanner aus), Touristen müssen nur etwa die Hälfte zahlen, also kam ich mit 2000¥ aufs Schiff, sehr okay.

Das Schiff war sehr leer und die See ruhig, insofern verbrachten etliche Leute die Zeit mit schlafen. Es gab im Inneren Flecken mit Teppichboden, die wohl auch zum Schlafen gedacht sind, es gab sogar kissenähnliche Dinger. Jedenfalls schliefen auf dem einen zwei Männer, auf dem anderen spielten Jugendlich Karten. Ich finde es toll, dass Schlafen in der Öffentlichkeit in Japan machbar ist, kann mich aber trotzdem nicht entspannen, wenn ich alleiniger Hüter meiner Technik und Papiere bin. Ein bisschen Dösen war aber drin.



In Matsuyama tingelte ich wahrscheinlich durch die ganze Stadt, denn es dauerte relativ lange. Nach vier kam ich im Hostel an, und um vier ist so ein Touristentag hier eigentlich schon gelaufen. Die Burg in Matsuyama schließt um 16:30, der Tempel von dem der Hostelbesitzer schwärmte, um fünf. Ja, das ist jetzt blöd gelaufen, man halt irgendwann nochmal her. Die Burg ist eh im Frühling am schönsten, sagt das Internet. Die mir gebliebene Matsuyama-Attraktion war das Dōgo-Onsen, praktischerweise hundert Meter vom Hostel entfernt. Das ist ein sehr schönes Gebäude, sagt von sich, es sei das älteste Onsen Japans. Und das hat bis elf, beziehungsweise zehn geöffnet, also zumindest das war sowieso möglich. Also wollte ich die Gelegenheit ergreifen, eine brave Hausfrau zu sein und meine Wäsche zu waschen. Das vorherige Hostel hatte top Trockenmöglichkeit auf Balkonen und dem Dach, nur leider erwischte ich keine freie Waschmaschine. Und das Hostel jetzt, das ist sehr hübsch und der Besitzer nett und die Lage praktisch, aber leider hat es keine Waschmaschine. Und das nächste vielleicht auch nicht. Und das übernächste wahrscheinlich auch nicht. Also war das Laundrythema schon ein bisschen zeitnah aus-der-Welt-zu-schaffens-würdig. Natürlich bin ich nicht der erste Mensch, der gelegentlich seine Wäsche wäscht, insofern hat das Hostel seinen Stammmünzwaschsalon. Japanischer Waschsalon? Yay, Abenteuer.



Letztendlich war es nicht so spannend, nachdem alle Hostelwaschmaschinen in Japan, denen ich bisher begegnete, auch schon japanische Waschmaschinen waren. Wahrscheinlich sogar dieselben, solche, an denen man nichts einstellen kann und einfach immer mit unerhitztem Wasser etwa eine halbe Stunde waschen. (Wisst ihr noch, als es immer spannende Themen gab wie Bären und Mamushi und dann plötzlich ging es nur noch um Waschmaschinen?) Trocknen musste ich auch, denn trocknen im Zimmer ist in diesem Hostel ausdrücklich mehrfach verboten, auf Englisch und mit Bildchen, ich kann nicht so tun, als wär mir das entgangen. Obwohl etwa all meine Sachen behaupten, nicht Trockner geeignet zu sein, haben alle überlebt. Wow, cool! Während der Wäsche latschte ich eine Runde durch den Supermarkt daneben und kaufte mir Supermarktsushi und Snacks. Eigentlich wollte ich in ein Restaurant gehen, aber geht mal in Japan im Supermarkt an einer Fresstheke vorbei, dann erledigt sich das Thema. (Kurz vor Ladenschluss kann man da übrigens oft Essen reduziert abgreifen.) Mehr von Matsuyama als den Waschsalon und die Gegend um das Dōgo-Onsen sah ich leider nicht. Hier laufen sehr viele Leute in Yukata umher, scheinbar stellen Hotels in der Nähe diese für den Onsenbesuch zur Verfügung. Ich bin ein bisschen neidisch auf diesen Umstand, immerhin ist es in diesem Fall ein Bademantel mit so viel Streetcred, dass man problemlos damit in der Stadt umherlaufen kann.


Und dann ging ich zum Onsen, weil man ja irgendwie musste, aber eigentlich hatte ich keine Lust. Ich weiß, es ist toll und Japan-Experience und so, aber mir wars bisher lieber einen Bogen darum zu machen. Weil nämlich der Reiz, den das Ganze haben soll, kleiner war als sämtliche Anxieties und Unwohlseinssachen, die damit verbunden sind. Zunächst einmal schreckte mich das Regelwerk ab. Nicht, weil es im Einzelnen so komplex ist, sondern weil es impliziert, dass man sehr viel falsch machen kann und möglicherweise eine Kultur (unbewusst) geringschätzig behandelt. Das möchte ich auf keinen Fall. Außerdem stürzte ich mich nicht gerne in so einen Insiderprozess, in dem alle Bescheid wissen, außer mir, ohne Peers. Auch wenn die/die/das Peer selbst keine Ahnung hat, dann bin ich wenigstens nicht der einzig Depp und kann „Und jetzt macht man dies und das, oder?“-Fragen stellen, die mich beruhigen. Und Onsen sind sowieso so eine Gesellschaftssache, das alleine zu machen ist immer eine Gradwanderung zwischen selbstbestimmt und traurig.


Und, natürlich, sind alle nackt. Ich weiß nicht, wie wenig Prozent der Frauen ihren Körper super finden, ich gehöre nicht dazu. Wahrscheinlich ist das eine anerzogene gesellschaftliche Scheißsache. Ich könnte meistens nicht einmal direkt Sagen, was am Körper gut und was schlecht ist, es ist eher ein Bewusstsein der Unperfektion. Dass, wenn einer was zum Meckern finden wollen würde, würde er und ich kann noch fünf Sachen hinten nach legen. Gut ist, dass Onsen in der Regel nach Geschlechtern getrennt sind, also muss ich mich wenigstens nur vor abschätzigen Blicken der Hälfte der Bevölkerung fürchten. Zum anderen aber, naja. Wenn man es so sieht, bin ich ziemlich das Gegenteil des üblichen Schönheitsideals hier. Ich bin nicht klein, nicht zierlich, meine Haut bräunt schnell und ich lasse es zu, ich habe Tanlines (dafür gibts wenigstens einen offiziellen Fetisch) fast überall wachsen Härchen und an der Oppai-Front gibts auch nichts Beeindruckendes.


Die Leute in meinem Sprachprogramm vor vier Jahren in Tokio waren zum Teil im Onsen in Odaiba und was die sagten, war: „The Japanese girls all have very good bodies, but, you know, bushy.“ Sorry, aber ich hab gar keine Lust mich unter good bodies zu mischen. Letztendlich ging ich zur belebtesten Zeit (denn normale Bodies kommen eher nach Feierabend, oder?) und schaffte bereits beim dritten Versuch, mich anzustellen, tatsächlich ein Ticket zu kaufen. So Ängste, die man nur mit sich selber ausmachen kann, sind schon ein bisschen hartnäckiger als Mamushipanik.

Ich brachte nichts mit, weil ich nicht der westliche Depp sein wollte, der vollkommen deplatziert sich mit seinem Kulturbeutelchen unter die Nackten mischt. Ich war dann also der westliche Depp, der sich ein Stück Seife kaufen und ein kleines Handtuch leihen musste. Ich bekam nochmal einen Zettel mit dem Ablauf und den Regeln. Bekanntermaßen (wahrscheinlich) ist die Über-Regel, sich vorher zu duschen, mit Seife zu waschen, und dann das Bad sauber und seifenfrei zu betreten. Die zweite Regel ist, dass das Handtuch nicht das Badewasser berühren sollte. Einige (bei mir war es die Überzahl) falten es deshalb und legen es sich auf den Kopf. Das wollte ich nicht machen, weil ich es trying to hard fand in meiner Lage, aber das popelige Leihhandtuch konnte man sich auch nicht supercool anders um den Kopf binden und ablegen konnte man es sowieso nicht.

Letztendlich, Trommelwirbel: Es war okay. Ich weiß nicht, warum Leute einem immer so viel Mist erzählen. Nein, Japanerinnen haben nicht alle perfekte Körper. (Der zweite Teil stimmte aber) Von den etwa dreißig Frauen, die ich sah, waren vielleicht zwei dabei, denen man ansah, dass ihnen Schönheitsideale wichtig sein, der Rest war einfach normal und in allen Altersstufen vertreten. Und es war sehr belebt. Nicht unentspannend laut, aber auch keinesfalls zu wie bei der Teezeremonie damals, als man höflich aber bestimmt darauf hingewiesen wurde, die Sitzposition der Verlaufrichtung der Tatamimatten anzupassen. (Teezeremonien sind sehr wichtig.) Manche haben sogar ihre Handtücher nass gemacht und es ist nichts passiert. Einige Obasan hatten ausgefeilte Wasch-Skills drauf und schütteten mit Gefäßen herum. Und weil Obasan es wissen müssen, ist scheinbar auch anderes als respektvolles verweilen im Wasser erlaubt. Ja. Erneut unbegründet große Angst gehabt, toll!

Morgen fahre ich mit sehr langsamen Zügen in die Iya-Region, und zwar in die Nähe von Ōboke. Meine Unterkunft hat mir schon zweimal geschrieben und mich über ihre Abgeschiedenheit informiert, mal sehen, wie es wird. Ich glaube, diesmal muss ich die Abgeschiedenheit nicht persönlich vollständig belaufen aber man wird sehen.

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