六日目/6 – Miyajima – Hiroshima

Wie bereits gestern gewünscht, habe ich es geschafft, die erste Fähre nach Miyajima zu nehmen. Die erste Fähre fährt um 6:25. Wenn man es sich gut leisten kann, sollte man wahrscheinlich direkt auf der Insel übernachten. Wenn nicht, sollte man sich morgens in den Arsch treten, damit man was sieht, bevor die Tagesausflügler eintreffen. Das gleiche gilt auch für Abends, zwar werden gegen sechs die Bürgersteige hochgeklappt und die Läden schließen, aber nachdem die Fähren noch bis etwa bis zehn weiterfahren, kann man das gut ausnutzen. Morgens ist es schön ruhig, alles hat noch zu und die gefürchtete Bambigang ist noch nicht so auf Krawall gebürstet, sondern pennt größtenteils noch.

Ich hatte vor, wenn die Bedingungen passen, auf Mount Misen rauszulaufen. Das ist ein Berg, und er ist 535m hoch. Das klingt nicht viel, aber man fängt ja wortwörtlich auf Höhe des Meeresspiegels an. Da hinaus gibt es drei verschiedene Routen Daisho-in Trail, einer mit angeblich zweitausend Stufen und schönen Ausblicken. Ausblicke mag ich und Stufen mag ich auch manchmal lieber als kontinuierliche Steigungen, denn bei Stufen weiß man, was man hat, nämlich Stufenförmigkeit. Ein unstufiger Pfad kann nach der nächsten Kurve eine saumäßige Steilheit an den Tag legen und man weiß es vorher nicht. Außerdem sind Stufen gut für den Popo, hab ich gehört.

Morgens hatte es nur 22° und war angenahm-kühl feucht, also die wettermäßigen Bedingungen waren perfekt. Heute hab ich überhaupt sehr intensiv gemerkt, dass die Hitze mehr zum Welthass beiträgt als die Anstrengung. Bis auf ein bisschen Unlust in den Beinmuskeln bei relativ langen Treppenstücken fand ich die Wanderung kaum anstrengend, während das spazieren gehen ein paar Stunden später das Salzwasserkraftwerk auf Hochtouren laufen ließ.

Dann hatte ich noch im Internet gelesen, dass es in der Gegend eine supergefährlichtödliche Giftschlange gibt, die Mamushi. Da werden wohl jedes Jahr 2000 – 3000 Japaner gebissen, von der Mamushi und man muss nicht unbedingt sterben, aber zumindest für eine Woche ins Krankenhaus und eine Antimamushi-Therapie machen. Am liebsten frisst die Mamushi Feldarbeiter und so an, die in Gebüschen rumwuseln und der Mamushi so das Kraut ausschütten. Einige westliche Touristen schrieben, sie seien beim Anblick der Mamushi-Warnhinweise aus akuter Angst umgekehrt und ja. Ich finde mich jetzt nicht so mutig, dass es mir egal ist, wenn sich eine tödliche Schlange an meinem Bein festbeisst. Ich habe dann die Situation evaluiert. Sie ist so: Wenn einem eine Mamushi beisst, ruft man die Notfallnummer an, die ist 119 aber in der Regel wird die Notfallnummer kein Englisch verstehen und man sitzt auf einem Berg auf einer Insel und kann nicht gerettet werden.


Da ich auch eine der Ersten war, die an diesem Tag den Pfad benutzten, hatte ich Angst, dass ganze Mamushifamilien noch gemütlich auf dem Pfad schlafen bis ich ihnen auf den Schwanz/Körper trampel. Ungefähr zwanzig Sekunden hab ich am ersten Mamushi-Schild überlegt und kam zu dem Entschluss, dass es die Wanderung sicher wert ist, mein Leben zu riskieren. Oder auch: Es ist Japan, die sind übervorsichtig, die brauchen Schilder mit „Nicht die Mamushi ärgern“, mir hat auch kein Bär die Eingeweide brachial ausgerissen und wenn ich gut auf den Boden schaue und in der Mitte des Pfades laufe, kann auch so eine Aggromamushi nicht behaupten, ich hätte sie provoziert. Letztendlich fand ich das Boden kontrollieren anstrengender als das vor mich hin laufen. Und letztendlich hat mich oben eine Japanerin für meine absolute Mamushi-Awareness ausgelacht. Ja dann macht doch keine so Schilder, ey.
Auch im Mamushi-Awareness-Modus dauerte der Anstieg um die neunzig Minuten. Es gab nur ein Schild, dass den Fortschritt signalisierte und dementsprechend war ich bereits fünfzehn Mal fehlalarmend oben, bevor ich oben war. Oben gibt es fast nichts, nicht einmal was zu trinken. Aber man wird, wenn man darauf achtet, gewarnt, sich Getränke mitzunehmen, sonst verdurstet man und wird ein großes Stück Mamushi-Jerky. Ich nahm vier Flaschen Tee, Wasser und Pocari Sweat mit, was ich nur erwähne, wegen der täglichen Portion Japan-Kulinarik.

 Ich aß also meine Brotzeit, ein leckeres Konbini-Melonpan (Ha!) und saß in der Sonne rum, was um diese Uhrzeit noch gut möglich war. Lag vielleicht auch an der Höhenluft, auf 500 Metern klopft die Stratosphäre schon deutlich an. Man hat außerdem einen tollen Blick auf die Seto-Inlandsee. Es war zwar ein bisschen dunstig, aber Dunst ist mir egal, nachdem letztens noch prognostiziert wurde, dass es meinen ganzen Aufenthalt lang regnen sollte.

Weil ich das Tagesziel als quasi erreicht betrachtet habe, habe ich mir überlegt mit der Seilbahn wieder hinunter zu fahren. Die Vorteile sind mannigfaltig: Zeitersparnis, Ausblick, Schrein und ähnliches an der Seilbahn-Bergstation und man muss kein Mamushi-Radar mehr sein. Leider fand ich die Station zunächst nicht. Das war so: Die Schilder sagten immer „Mt Misen“ und „Mt Misen Observatory“. Ich hatte eine Ausblickssache im Internet gesehen, an der ich noch nicht gewesen war und deutete das als das Observatory. Stellte sich heraus, das Observatory ist das Häuschen, an dem ich bereits war, was mir aber egal war, denn es hatte noch nicht geöffnet. Nachdem ich also zwei Mal Mt Misen (ohne Sauerstoff) bestiegen hatte, kam dieser Super Mario Moment, als sich herausstellte, dass sich die Seilbahnbergstation auf einem anderen Gipfel befindet.

Dort war es auch schön, aber inzwischen sehr heiß. Trotzdem war ich es noch früh genug, dass ich mich in meinem strahlenden Glanz sonnen konnte, dass ich schon auf dem Weg zurück war und alle anderen erst aufbrachen. Man grüßt auch in Japan auf dem Berg, das ist schön. Nirgends ist so eine stabile Grußkultur wie auf Bergen. Tatsächlich fuhr ich denn mit der Seilbahn zurück und bevor ich mir das dachte mit der Zeitersparnis hätte ich einmal gucken sollen, wo die Seilbahn denn landet. Nämlich: Woanders. War aber ein schöner Park, dann gings.

In Bambitown war mittlerweise Hochkonjunktur und ja. Sonntag, gutes Wetter, los mal ein paar Hirsch an den Ohren zupfen. Scheinbar ist es den Tieren egal, dass sie zum Teil nicht so nett behandelt werden, von Fotografen als Requisite in Familienbilder geschoben werden. Vielleicht fressen sie deshalb so viel Plastikmüll. Jedenfalls fühlte ich mich nicht so ganz wohl dort Mittags mit all den vielen Menschen und dem Bambirumgeschubse. 

Ich fuhr also nach Hiroshima. Nachdem ich einen Hang zu grausamen Sachen habe, gucke ich auch gerne Hiroshima-Atombomben-Dokumentationen oder lese darüber. Ein Experte bin ich deshalb nicht, aber ich finde es sehr emotional ganz schrecklich. Deshalb wollte ich das Hiroshima Peace Memorial Museum unbedingt angucken, für das ich bei meinem letzten Besuch vor vier Jahren keine Zet hatte. Aber zunächst kaufte ich mir Snacks beim Bäcker. Die Bäcker, in denen ich in Japan bisher war, waren alle zur Selbstbedienung. Das, was ich unter anderem nahm, hieß Curry Cheese Doughnut oder so und ich nahm an, dass es sich dabei um eine würzigere Käsesemmelbrötchendings handelt, ähnlich wie in Deutschland. Es stellte sich heraus, dass das Ding mit Karē gefüllt war, komplett mit Gemüsestückchen. Cool!

Am Children’s Peace Monument, wo normalerweise (glaube ich) immer neuntausend Schülerwandertage sind, war es sehr ruhig. Vielleicht Sonntag, vielleicht Ferien, wahrscheinlich beides. Trotzdem haben mich ein paar uniformierte Jungs geschnappt und interviewt, zu spannenden Fragen wie „Where are you from?“ – Sah nach einer spaßigen Englischübung aus. Dann wollten sie noch ein Foto mit mir und ich hab einen Deal gemacht und wollte auch das Foto gemacht haben. Glück gehabt, dass ich ausnahmsweise in den zehn Minuten nicht wie verschwitzter Matsch mit Augen aussah.
Abends war ich wieder in Miyajima und zum Glück hatte die Bambigang da wieder die Stadt in der Hand. Es war kurz nach sechs, alles hatte schon zu und ich konnte das Momoji-Gebäck-Dings, das ich noch essen wolte, nur noch in abgepackt bekommen. Vielleicht klappt das morgen morgens noch.

Morgen will ich irgendwann von Hiroshima aus mit der Fähre nach Matsuyama (auf Shikoku) übersetzen (kaum ein paar Jahre Norddeutschland, schon sitzt der Seefahrerslang), dort habe ich keine Termine (!!!), nur ein Hostel in der Nähe des berühmten Onsen, vielleicht geh ich da hin, aber bisher hatte ich von Onsen Angst. Mal gucken, die ganze Reise fährt irgendwie sowieso unter einer „ganbatte!“-Flagge, Bären, Mamushi, nackte Japanerinnen.

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