"Im Arsch"

Relistunde. ein Mitschüler knallt mir das Absentenheft auf den Tisch. Ob ich mich darum kümmern könne, er möchte jetzt nämlich heim. Ich sage, dass ich das natürlich kann, schlage das Heft auch und frage ihn, was ihm fehlt. Ich solle bitte niemanden eintragen, sondern es nur zur richtigen Zeit zurück ins Sekretariat bringen. Ich lasse ihn wissen, dass ich doch wünsche, in solche Vorhaben nicht hineingezogen werden und er solle seinen Mist gegebenenfalls alleine praktizieren.

Der Mitschüler setzt eine Leidensmiene auf und bettelt um mein Verständnis. „Wir sind doch heute alle im Arsch“, sagt er, und ob ich nicht hier wenigstens ein bisschen Mitgefühl zeigen könnte. (Äh.. nein. Er wird es trotz seiner schwerwiegenden Leiden ja wohl noch schaffen, in den ersten Stock zu gehen.)

Hm.

Ich persönlich war ja nicht „im Arsch“. Ein bisschen vielleicht, das Wetter.

Aber andere Schüler.

Okay, okay. Ich sage nichts mehr gegen ihren Lateinmarsch. Ich finde es immer noch wenig sinnvoll, aber lassen wir ihnen ihren sinnfreien Spaß. Was die in den Pausen mit Bettlaken umwickelt auf dem Pausenhof aufführen, kann mir ja egal sein. Anderes ist mir vielleicht nicht ganz so egal.

Sagen wir es einmal so, ich habe heute eine Menge Dinge gehört, die ich gar nicht hören wollte. Dinge, von der Lateinmarschparty gestern. Ich weiß, wer seinen Mageninhalt am Veranstaltungsort gelassen hat,  ich weiß, wer fast eine Flasche Wodka gesoffen hat, wer so betrunken war, dass er begann Klopapier zu verschenken und wer sich zwischendrin von jemand anderem im Auto in ein Waldstück verziehen ließ. Nein, das wollte ich nicht wissen.

Ach ja, das war, weil sie Latein abgelegt haben. Deshalb haben sie gestern genug Vorarbeit geleistet, um sich heute „im Arsch“ zu fühlen. Gut, es waren nicht nur die Lateiner sondern auch ein paar Franzosen, sie zwar nicht auf die Party durften, aber gegen ein bisschen Solidaritätssaufen hatte wohl niemand viel.

Scheinbar haben sie gestern die heutige Aktion geplant Ein paar Schüler, die, die am gestrigen Abend ihre Konzentration lange genug behalten konnten.

Von der Planung her und den Umständen der Planung, wäre die Aktion, von der Gestaltung her, gar nicht so schlecht gewesen. Allerdings, ich glaube, es hätte geholfen, wenn weniger „im Arsch“ gewesen wären.

Wir Franzosen hatten ja Unterricht, auch wenn selbst wir nicht ganz vollzählig waren. Zweite Stunde, Geschichte haben wir uns gerade einen Unterrichtsfilm über Napoleon angeschaut, als die Marschmenschen hereinkamen. Wir haben sie nicht groß geachtet, sie haben uns nicht groß beachtet. Sie kamen mir teilweise etwas geistesabwesend vor, angeführt von einigen mit schwarzer Schärpe (Die, die das Latinum nicht bekommen haben) die am lautesten „So sehen Sieger aus Sha-lala-lala“ brüllten. Ich vermute, das hatte einen psychologischen Hintergrund. wir saßen da, haben sie etwas verständnislos angeschaut und uns größtenteils auf Napoleon konzentriert.

Die Lateiner nehmen uns das nicht besonders übel glaube ich. Die denken, wir seien neidisch auf ihre Aktion. Ach was. Wir könnten auch etwas machen, wenn wir wollten. Wir feiern ja auch nicht am Ende der Zehnten die Mittlere Reife den Mittleren Schulabschluss, was an manchen anderen Gymnasien auch eine „Tradition“ ist.

Man muss ja nicht überall mitmachen. Apropos mitmachen, man hat mir erklärt, die Lateiner seien für die ersten drei Stunden befreit.  Ich würde sagen, dass die Schülerdichte in den darauf folgenden Stunden auch noch recht gering war. In Kunst waren wir nicht einmal mehr zehn (Gut, ein paar haben auch Musik. Trotzdem hätten wir viel mehr sein sollen), von beiden Fraktionen waren Teile verschwunden. Zwei Lateiner waren da, also schließe ich daraus einmal, dass die Gruppe der Lateiner an sich in dieser Stunde nichts gemacht hat.

Der Rest der Stunden war geprägt diversen Jammereien über Kopfschmerzen und Müdigkeit.  

Mittags war dann die Gruppe Schüler, die in Italien auf einem Austausch waren zum Pizzaessen eingeladen. Sie haben sich Pizza bestellt und dann in der Schule gegessen. Wir haben demokratisch entschieden, dass wir vier noch übrige Schüler, die weder im Austausch, noch im Arsch waren, es nett gefunden hätten, wenn wir auch eine Pizza angeboten bekommen hätten. Wir hatten ja zeitgleich Mittagspause und hätten die Pizza selbstverständlich auch gezahlt und meinetwegen vor der Tür gegessen. (Für Selbstholen war die Zeit zu knapp, die anderen Pizzen wurden nämlich schon am Vortag bestellt.) Es ist nämlich so, dass hungrige Schüler es nicht ganz so toll finden, wenn das gesamte Stockwerk mit dem Geruch von dreißig frischen Pizzen erfüllt wird, die wir nicht anfassen dürfen. Man muss uns ja ärgern, verstehe ich schon. Aber ich dachte, das angemessene Maß an Ärgern wäre damit erricht, dass die Austauschteil im einen Raum Plakate bastelte während wir im anderen Arbeitsblätter über Zeitformen machen sollten. (Aber: Die duftende Pizza war viel, viel gemeiner.)

Liebes Tagebuch, heute habe ich gelernt, dass sich ein Großteil meiner Mitschüler doch noch weniger beherrschen kann. Weder vorher noch nachher. (Wenn sie sich schon an einem Mittwochabend besaufen müssen, könnte sie ja wenigstens am Donnerstag ihr Gejammer für sich behalten. Und es eventuell in Anbetracht ziehen, am Unterricht teilzunehmen, wenn sie es eigentlich müssten.)  

Schade für die Leute, die sich, (trotz dem fragwürdigen Sinn der ganzen Aktion) bemüht hatten.

 

„Wir sollten echt“, sagt eine Mitschülerin von mir „am Ende des Jahres ein Klassenfest machen. Weil wir seit der Fünften eine Klasse sind.“ Ich stehe von meinem Stuhl auf mit dem Ziel, etwas dagegen zu sagen, da die Aussage von der Person stammt, die angibt, sie fühle sich gestört von den Putzfrauen, weil jemand ihre Schule putzt, der nur ein Drittel ihres IQs habe, und ich an solchen Tagen außerordentliche Probleme mit Toleranz habe. Da ist mir lieber, jemand erzählt mir etwas Unanfechtbares.

„Vergiss es“, sage ich „für eine Party würde niemand die Organisation oder Verantwortung übernehmen wollen und für ein Essen oder „gemütliches Beisammensein“, was übrigens viel sinnvoller wäre, sind wir, denke ich mal, nicht zivilisiert genug.“

Ich glaube, ich habe (trotz fehlender Toleranz) Recht. An sich. Im Prinzip könnten sich die meisten schon zusammenreißen. Aber sie wollen es nicht wirklich. Sie würden sich ja nie freiwillig ein Fest mit einer angemessenen Menge an Genussmitteln, ohne fremde „Freunde“ und mit ein paar Aufsichtspersonen (harhar) wünschen. Und ohne Waldstück.

Wenn sie die Wahl hätten, würden sie sich wahrscheinlich nicht dafür entscheiden.

Aber ich ließe mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

 

Tags: No tags

Add a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *