Country Roads

Wie war das nochmal mit der komplizierten Geschichte mit dem Flug und dem Schnee und dem Spontanroadtrip? Also:


Mittwochnachmittag, Aruba.

Der Queen Beatrix International Airport in Aruba hat sich ein besonderes Konzept überlegt und ist unterteilt in U.S.- und Non-U.S.-Departures. Obwohl auch in unseren Sommermonaten viele Südamerikaner in das konstant warme Klima fliegen, ist ganz viel auf amerikanische Touristen ausgelegt. Über dem Terminal schwebt die gleiche dunkle Wolke, wie über der amerikanischen kommerziellen Luftfahrt, die vor vielen Jahren mal falsch abgebogen ist. Weg von dem Prestigegetue der europäischen und asiatischen Fluggesellschaften, fliegen muss sich mindestens so dreckig anfühlen wie Reisebusfahren. Mit grünstichigen Röhrenmonitoren und bestenfalls teuren Fertigsandwiches. Meistens gilt, dass man für jedes Gepäckstück unmittelbar vor dem Check-In an einem instabilen benutzerunfreundlichen Automaten $25 bezahlen muss. Es gibt Ausnahmen (Anschlussflüge) aber die kennt der Automat in der Regel nicht. Also fliegt der gekonnte Inlandsflug-Amerikaner lediglich mit Handgepäck, das so schwer, groß und voller Kulturbeutelinhalt ist, dass ein europäischer Kontrolleur mindestens weinend zusammenbrechen würde. Aber es scheint zu funktionieren. Anschließend wird dann jener gesamte Hausstand in deine Gepäckablage geprügelt, bevor du überhaupt einsteigst.  Das Personal entgegnet dir dann mit Schulterzucken, falls da für deine Winterjacke kein Platz mehr ist, denn auf der falschen Abzweigung gibt es auch „That’s not my problem“-Philosophie, die besondern am Boden häufig ehrgeizig verfolgt wird. Es ist keine absolute Katastrophe, aber sehr weit weg vom „Lächeln und zumindest so tun, als würde man helfen“-Prinzip der restlichen Flugzeugwelt.

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Auf dem Flughafen in Aruba reist man bereits über einen Automaten in die USA ein, irre gruselig und Überwachungsstaat, aber andererseits spart man sich dann die Stunde in der überheizten Immigrationshalle, die mit den 3/35 aktiven Schaltern, in der man nicht auf sein Handy gucken darf. Trotz alle dem kann das Personal irgendwie doch nicht so gut Englisch, jedenfalls nicht verhandlungssicher was schade ist, denn eigentlich muss man bei Flugproblemen doch ständig verhandeln. (Auch eine Konsequenz der falschen Abzweigung) Wenn alles glatt geht, ist das aber kein Problem.

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Wir wollen eigentlich von Aruba nach Washington D.C. fliegen, und zwar über Charlotte, North Carolina. Das ist ein Knotenpunkt und zwar ein ganz okayer, denn am Flughafen gibt es Schaukelstühle. Donnerstag dann Washington und dann mit dem Leihauto nach New York. Eventuell Atlantic City. Freitag New York, Samstag Rückflug. Der Automat weigert sich allerdings. „There’s a problem with your flight“ sagt er, und an Servicepersonal wenden. Der Mann am Schalter sagt: „There’s a problem with your flight.“ Nach drei Minuten intensiver Recherche mit gerunzelter Stirn hat er herausgefunden, dass der Anschlussflug von Charlotte nach Washington gecancelled wurde. Naja, kommt vor. Der Flug ist einer der letzten am Tag, käme gegen Mitternacht in Washington an, war wohl nicht ausgelastet. Aber irgendwie findet der Schaltermann keine Alternative, keine andere Fluglinie, kein Ausweichen auf Baltimore. Das teilt er aber nicht mit, sondern murmelt nur mantrisch „no.“ Irgendwann sagt er, die einzige Möglichkeit der Welt wäre ein Weiterflug Donnerstagmorgen, um 6 Uhr. Er könne das buchen. Okay, er buche das. Er schicke dann die Bestätigung zu. Nee, jetzt könnte er nichts auf die Hand geben, aber das käme das per Mail. Puh. Ganz schön harte Bedingungen, aber er hat es souverän hingekriegt.

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Angeblich erwartet man an der Ostküste einen Schneesturm. Aber erst Donnerstagmittag. Direktflüge (die wohl schon voll waren) von Aruba nach Washington finden an diesem Mittwochnachmittag noch statt. Ebenso nach New York, Philadelphia und was es noch so alles gibt. Wir reservieren vorsichtshalber ein Hotel in Charlotte. Einige in Flughafennähe sind nämlich schon voll, falls es doch so sein sollte, dass wir erst morgen früh weiterkommen. Irgendwann kommt die Mail der Schaltermannbuchung, ein im mittelguten Flughafeninternet nur so halb lesbares Machtwerk mit unbekanntem IATA-Code. DAY. Er hat einen Flug über Dayton, Ohio gebucht und das mit keinem Wort erwähnt.

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In Charlotte ist es dann gegen neun und die Hölle los. Letztendlich hat die Airline alle letzten Flüge des Tages an die Ostküste gestrichen, wohl um zu vermeiden, dass die Maschinen dann am nächsten Tag, wenn es wirklich los geht, dort festsitzen. Zu dem Zeitpunkt hat es in Charlotte um die zwanzig, in Washington um die zehn Grad und Regen. Keine Spur von irgendeinem Wintereinbruch in den nächsten Stunden, aber „That’s not my problem“ nörgeln die Damen am Schalter zu den Massen von gestrandeten Passagieren und „There’s nothing we can do for you.“ und gelegentlich geben sie auf Nachdruck Hotelnachlassgutscheine raus, nur gültig für Hotels, die zu diesem Zeitpunkt schon belegt sind. Wir geraten an eine weniger genervte Dame, die einen Flug am Donnerstagmittag nach Baltimore anbietet, aber, honestly, davor und danach sei alles inzwischen gecancelled, und es sei sehr wahrscheinlich, dass dieser Flug auch nicht fliegt.  Dann eben nicht. Dann eben morgen früh über Dayton. Bevor wir ins Hotel fahren, fragen wir noch einen Mensch mit Hauptkompetenz Luggage, ob wir unsere vier Koffer am Flughafen lassen können. Baggage Storage? No sorry. Never heard of that. You can’t do that. Aber Sie sind ein Flughafen! Jeder hat das! Das wird ordentlich durchleuchtet und dann ist da auch kein Sicherheitsrisiko und das haben sogar Bahnhöfe! No sorry. Never heard of that. You can’t do that.

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Taxi zum Hotel. Hotel und Leihauto in Washington für den nächsten Morgen absagen, erneutes Lesen der nun vollständig geladenen Mail des Schaltermannes. Oh. Da steht „6 pm“, nicht „am“. Und das Datum ist auch irgendwie falsch. Der Schalterkasper hat statt für Donnerstagmorgen einen Flug für Freitagabend gebucht. <Pause für entsetztes Schweigen.> Das ist natürlich inakzeptabel, denn Samstag sollen wir ja in ein Flugzeug nach München steigen. Das von Newark fliegt, was immerhin noch 350km von Washington entfernt ist. Wir sagen dem Taxi, dass es umdrehen soll und zurück zum Flughafen fahren soll. Vielleicht doch lieber Mittags Baltimore riskieren? Ein Leihauto holen und noch bis etwa Mitternacht nach Norden fahren?

Die nette Frau ist inzwischen nicht mehr da. Die anderen meckern deutlich noch, die Halle voller Leute, sie stehen auf und sperren ihre Schalter. Ein paar Minuten vor zehn, vermutlich dem offiziellen Ende ihrer Schicht. Ich denke an Leute mit „Tut mir Leid, da war heute so ein Chaos, ich musste länger bleiben.“ Nicht in Charlotte. Die Schalter für Leihwagen, mit Ausnahme von einem, haben bereits geschlossen, und dieser eine sagt, alle Leihautos aller Firmen in der gesamten Umgebung seien bereits weg. Tut uns Leid. Suchen Sie sich ein Hotel.

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Wir stehen um sechs Uhr auf, Tagesziel: Irgendwie Richtung New York, das Frühstück ist okay, Charlotte ist dunkel und das Fernsehen fürchtet sich vor dem Schneesturm, der noch nicht da ist. In New York regnet es. In Nashville fürchtet man sich ganz besonders. Tausend Kilometer bis nach New York. Die meisten Fluggesellschaften haben all ihre Flüge gestrichen, einzig Delta versucht, zu fliegen. Bunte Wetterberichtsbilder. Wenn, dann besser die starkfrequentierte Interstate 95 meiden (an der Küste, über Washington etc), die könnte dicht sein, eher die Interstate 81 weiter im Landesinneren. Vielleicht gibt es einen Zug. In normalen Ländern gibt es Züge. „Yes, there’s one Amtrak,“ sagt die Frau an der Rezeption. Amtrak. Bei Amtrak denke ich automatisch an den brennenden Zug von Choo Choo Motherfucker. Für den ist das bisschen Schnee sicher kein Problem. „It leaves 7.20, that’s the only one today.“ Es ist sieben, keine Chance, in zwanzig Minuten irgendwo an einem Bahnhof in einen Zug zu steigen. Warum in den USA Züge auf Hauptstrecken seltener fahren als die Münchner S-Bahn inklusive Streik, Weichenstörung und Luftballon in der Oberleitung gleichzeitig, erschließt sich mir nicht ganz. Greyhound ist unglaublich teuer und nimmt auch die gefährliche Interstate 95, die Nachmittags da drin ist, was die aufgeregten Wetterleute „it“ nannten. Rezeptionsfrau sucht auf einer underground Website nach Leihautos. Findet auch eins, irgendwo in einem Gewerbegebiet außerhalb von Charlotte. Wir reservieren.

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In Charlotte regnet es inzwischen, das Taxi setzt uns an zwei Containern irgendwo neben einem verdächtig leeren Parkplatz am. „I don’t have a reservation“ sagt die Frau am Schalter im Container. Und außerdem, sagt sie, habe sie auch keine Autos. Deshalb der leere Parkplatz. „You see,“ sagt sie „our computers aren’t connected to the database.“  <Pause für Weinen> „the website is never up to date. You have to phone us.“ Ich habe das erste Mal im meinem Leben das Gefühl, dass ich an anderem Ort bin, von dem ich ums Verrecken nicht wegkomme. Es gibt immer so viele Möglichkeiten, das kommt einem gar nicht in den Sinn, dass was einmal nicht geht, und dann ist wie Stromausfall mit leeren Akkus. Also, fast. Die Frau telefoniert dann nämlich wild rum und findet dann jemanden, der ein Auto bringen kann. Sogar eines, in das alle Leute und Koffer passen. Yeah, niemand muss für immer in Charlotte bleiben. Aber es war so, so knapp.

Das Auto kommt und dann kommt das, was immer kommt: Den nächstbesten Convenience Store leerkaufen, Getränke, Fertigkaffee, Kekse, Gummibärchen, die blauen Doritos, abgepackte Sandwiches, yay Roadtrip.

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Kurz nach der Grenze zu Virginia (Salem/Roanoke) kehren wir in einen Taco Bell ein. (when USA, then fast food. Ohne Widerstand. Sorry, falls das eure Gefühle verletzt.) Eine Maschine der Delta ist in New York im Schnee von der Landebahn abgekommen. Und in dieser halben Mittagspausenstunde bricht auch in Virginia der Winter aus. Danach die schlimmsten Stunden Fahrt, die Straßen voller Slush, dann Eis und das hässliche leichte Schlittern beim Spurwechseln. Der Schnee ist irgendwie anders als ich ihn kenne, die Flocken zerspringen auf der Straße regelrecht. Und in den USA hat man eigentlich keine Winterreifen, weil es bestimmt sowieso nie da schneit, außer ständige Blizzards, aber dann fährt der Amerikaner wohl begeistert Fahrrad. Oder Amtrak. Die Trucks fahren besonders vergnügt besonders schnell, Kühlergrills komplett vereist, patriotische Sprüche für alles mögliche überall. Und sie lieben im Straßengraben. Haufenweise. Bei den ersten hat man ein sehr mulmiges Gefühl, zwanzig später relativiert sich das ein bisschen. Wer auch immer die Straßen aufräumt, lässt alles, was nichts blockiert, einfach liegen. Ich hab sie nicht gezählt, aber eine realistische Einschätzung wären um die zwanzig PKW und vierzig Trucks. Alle im Graben.

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Am Nachmittag kommen wir in Gebiete, in denen die Interstate aktiv gesalzen wird. Man sieht auch wieder etwas vom Asphalt. Wir machen dann keine Pause mehr, nur für Toilette und einen Becher Kaffee, aus Angst, das schlechte Wetter könnte uns weiter einholen. Virginia ist sehr groß. Ich habe eine Bekannte aus Virginia, die jammert auf Facebook im Sommer, dass es dort zu warm ist und im Winter, dass es zu kalt ist. Vielleicht übertreibt sie doch nicht so viel, wie ich dachte. In Virginia stehen vor allen Häusern nur Pickups.

Als es spannend wird, ist es schon zu dunkel für Fotos. Dinge fangen an, ständig Shenandoah und Blue Ridge zu heißen (ALMOST HEAVEN, WEST VIRGINIAAAH), und ich habe zum Glück eine offline Playlist mit ausgewählten Stücken von John Denver. (Don’t ask.) In West Virginia sind wir aber nicht lange, doch es ist sehr nett dort, ein großes „Welcome to West Virginia“-Besucherzentrum, im Gegensatz zu Maryland, was gleich danach kommt und man kaum bemerkt hätte. Das Schild ist auch nicht übermäßig groß. Wo man sich Patriotismus wünscht, enttäuscht er einen. Pennsylvania, Milestone Harrisburg, Interstate 78, „jetzt ist auch schon egal“, weiter. Irgendwann sagen die Schilder mit den Meilenangaben schon „New York City,“ aber das ist viel später, als ich erwartet habe. Wahrscheinlich American Style, großen Städten keine Straßenschilder oder Bundesstaatshauptstadtwürde zukommen zu lassen. Wir sind um Mitternacht in Newark.

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Der Freitag in New York ist sonnig, schmerzhaft kalt (-19°) und gut, denn New York ist immer gut. Irgendwann kommt dann eine Mail von US Airways, es täte ihnen Leid, uns mitteilen zu müssen, dass unser Flug von Dayton nach Washington leider gecancelled wurde. Alles richtig gemacht.

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