Ich ging dann mal

Ich gehe gerne zu Fuß. Das befremdet Stadtkinder, weil es öffentliche Verkehrsmittel gibt. Und Landkinder, weil es Fahrräder und Autos gibt. Trotzdem laufe ich gerne, wenn ich die Zeit habe und das Wetter so okay ist, dass ich nicht unterwegs in einem Schneesturm sterben könnte oder so.
Meistens gehe ich in Städten rum, gerade in München sind nämlich die Distanzen, die ich so zurücklegen muss gar nicht so groß, alles unter zehn Kilometer, das geht dann schon.

 

Dann wollte ich eine ganze Zeit schon wissen, ob ich überhaupt Nerven in den Füßen habe, weil die mir im momentanen Alltagsgebrauch nie wehtun. Kann ja sein, dass sie kaputt sind. Oder dass ich im Zuge eines wissenschaftlichen Experiments unter Drogen gesetzt wurde und anschließend meine Beine durch billige Roboterteile ersetzt wurden. Besonders, als ich letztes Wochenende in Österreich war und es dort zum Wandern noch viel zu schneeig, da hätte ich so richtig Bock gehabt, aber nee, während dort eigentlich noch Skisaison ist, ist das Quatsch. Diese Woche ist das Wetter schön. Und es ist nicht zu warm. Also wollte ich dann mal länger zu Fuß gehen. Ich fing damit an, alles falsch zu machen und stand viel zu spät auf.

 

Ich war mir zwar sicher, dass die Mission eh schon gescheitert war, weil ich nicht im Morgengrauen loszog, packte aber trotzdem eine Wurstsemmel und Schokolade in einen Rucksack und lief mal los. Ursprünglich wollte ich Richtung München, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie weit ich tatsächlich immer S-Bahn fahre. Dann erschien mir die Strecke aber zu doof, weil man doch hauptsächlich Bahngleise und Sonnenkollektoren gesehen hätte. Also lief ich in die andere Richtung, Richtung Ammersee. Ich plante, direkt an der Amper entlang zu gehen, weil am Wasser zu gehen super ist, finde ich. Außerdem gibt es ja den Ammer-Amper-Radweg, der von sich behauptet, größtenteils an Ufern entlang zu führen, an dessen Beschilderung ich mich halten könnte, wenn ich mich verlaufe und mein Handyempfang von einem Bären gefressen wird.

 

Keine Ahnung, wie weit ich letztendlich ging. Als ich dem ersten Schild ankam, das was von zwanzig Kilometern nach Dings sagte, war ich schon ein paar gegangen, außerdem machte ich kleine Umwege. Insgesamt also dann so rund viertausend Kilometer. Ich ging über Schöngeising und Grafrath und Inning und Stegen nach Eching. Das sagt natürlich niemandem was. Liegt alles da so, wo die Landkreise Fürstenfeldbruck, Starnberg und Landsberg zusammentreffen. Fürstenfeldbruck ist davon der hässlichste Landkreis. Von da aus ging ich los. Das erste Stück nach Schöngeising bin ich schon ungefähr zweiundsiebzig Mal auf Schulausflügen gegangen. War ganz nett, aber auch nicht so wirklich neu. Obwohl, so früh im Jahr mir so wenig Grün und so viel Graubraun war ich da eigentlich noch nie. Zumindest scheinte die Sonne ziemlich und ich hüpfte doof zu Kopfhörermusik über Feldwege, außer wenn Rentner oder Jogger in drei Kilometer Entfernung sichtbar wurden.

 

 

 

 

Nach Schöngeising hatte ich keine Lust, den Schildern zu folgen und womöglich irgendwelche Asphaltwege zu laufen, stattdessen lief ich irgendwas Plattgetrampeltes nach. Zuerst war da noch Weg, dann aber nur noch Trampelpfad durch Wald. Das war besser als alles mit Teer. Und ich hatte das Wasser neben mir, was wichtig ist, wenn ich mir Suppe hätte kochen wollen. Leider hatte ich keine Suppenzutaten. Also, außer dem Wasser.

 

 

 

 

 

Kurz vor Grafrath wurde dann alles privatgrundstückig und blöd, also musste ich auf der Straße laufen, bis dann hoffentlich wieder Uferweg kommt. Leider kam kein Uferweg. Stattdessen führte alles, asphaltiert, entlang der Bundesstraße. Hochverrat. Ich war ein wenig genervt davon, sah aber keine alternativen Wege. Nach einem Kilometer entlang etlicher Holzkreuze der Bundesstraßenunfallopfer der letzten dreißig Jahre hatte ich genug und lief ohne Trampelpfad etwas mehr in Flussnähe entlang. Das was eine unfassbar gute Idee. Wie bei allen unfassbar guten Ideen steckte ich dann bis zu den Knöcheln im Moor. Das fand ich aber nach kurzer Zeit ganz witzig. Obwohl in Mooren ja Werwölfe leben. Aber da war ich dann doch ziemlich furchtlos. Aber nur, weil die Sonne gescheint hat.

Irgendwann hörte das Moor auf, vernünftig begehbar zu sein, also musste ich zurück zu Bundesstraße. Zwischen der und mir war aber noch viel unbegehbarerer Untergrund und ich balancierte auf Baumstämmen irgendwie über grausamen giftigen schleimigen tödlichen Sumpf.

 

 

 

 

 

 

Danach also wieder entlang der Bundesstraße. Yay. Irgendwann sah ich den ersten und einzigen echten Rucksackwanderer auf der ganzen Strecke. Er sah aus wie Gérard Depardieu und sprach mich irgendwann an, weil er wollte, dass ich ihn mit seiner winzigen Digitalkamera vor einem Autobahnauffahrtsschild fotografiere. Dazu setzte er extra seine Sonnenbrille auf. Weil, sagte er, ihn die Sonne blenden würde, wenn er da so vor dem Schild stünde. Und die Sonne auf seinen Hinterkopf scheinte. Aber gut. Dann musste ich ein Stück entlang der Autobahn. Das war noch besser als Bundesstraße. Aber ich hatte mich mittlerweile mit meinem Schicksal abgefunden. Wenigstens waren auf der anderen Wegseite immer mal wieder Abschnitte gebastelte Natur mit „Biotop. Nicht anfassen. Gruß, Ihre Autobahndirektion Südbayern“-Schildern.

Zum Glück waren das Autobahnstück dann doch nur drei Kilometer oder so. Dann war ich in Stegen. Am See. Da standen Schiffe und ich überlegte kurz, ob Stegen mein Ziel sein möchte, dann sah ich aber ziemlich viele Leute mit Pelzkrägen und riesigen Sonnenbrillen und Aperol Spritz Gläsern, die ziemlich arrogant guckten, und dann dachte ich, dass Stegen und ich nicht so gut zusammenpassen. Und ging weiter.

 

 

 

 

Das letzte Stück nach Eching war dann auch wieder Autobahn und dann Weg entlang an echter Natur, die man nicht anfassen durfte. An den wenigen Flecken, an denen man durch das Gebüsch zum See gucken konnte, lungerten alte Männer mit riesigen Objektiven herum, von denen ich Angst hatte, weil ich nicht gerne Fotos mache, wenn Leute da sind, die das vielviel besser können. Da fühle ich mich stümperhaft. Am letzten Seezugangsdings gab es zum Glück keine alten Männer mit Objektiven, aber dafür einen alten Mann, der nach irgendwas fischte. Wohl nach Gold und Diamanten und Wattwürmern.

 

 

 

 

Das war der Zeitpunkt, als ich dann bemerkte, dass ich so gar keine Ahnung hab, wie ich von da nach Hause komme. Ich war unterwegs an ein paar Bushaltestellen vorbeigekommen, die Pläne für insgesamt zwei Busse am Tag hatten. Ich hatte panische Angst für etwa dreißig Millisekunden. Dann ging ich Richtung Ortsmitte, fand eine Bushaltestelle, Bus kam nach einer Minute, nahm mich GRATIS mit zum Bahnhof. War auch sein einziger Fahrgast. In seinem kleinen mickrigen Provinzbus. ABER ER NAHM MICH GRATIS MIT. ER WAR NETT. Also fuhr ich gratis zum Bahnhof, weil mich der Busfahrer gratis mitnahm, kaufte eine Karte. Die war so teuer und galt auch für den Bereich, in dem ich gratis Bus fuhr, weswegen ich eigentlich rückwirkend betrachtet gar nicht wirklich gratis Bus fuhr.

Ende.

Oh, Moment. Ich habe übrigens Nerven in den Füßen. Die meldeten sich nach 15 Kilometern, aber waren dann nicht weiter störend. Dafür hab ich rot-blaue Flecken rechts und links an den Hüften, wogegen beim Laufen immer meine über die Schulter gehängte Kamera stieß. Vielleicht wird das niemals heilen. Trotzdem: Zu Fuß gehen <3

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