Bürobesuch (angezogen)

Heute war ich im Büro. Mein Büro ist noch relativ weit weg, sich normal anzufühlen. Es gibt sich Mühe: Einige Kollegen sind sehr oft vor Ort, aber für die meisten ist es nach wie vor eher ein Abenteuer. Ich persönlich habe die meisten Meetings mit Kollegen, die nicht in Hamburg sitzen: Die werden für immer online bleiben. Ich vermisse sehr, (passiv) unter Menschen zu sein, und gleichzeitig kann ich mir auch gar nicht mehr vorstellen, wie es ist, wenn man es unter Menschen unbedenklich findet. Ich nehme an, so geht es allen als Pandemierende.

Aktuell gehe ich nur ins Büro, wenn Kollegen ein persönliches Treffen vorschlagen und ich das auch gut finde. Das ist meine neue Taktik seit dem Ende der Frühjahrswelle, davor war ich ein halbes Jahr nur in 2D anzutreffen. Die Taktik mach dann auch jeden meiner Bürobesuche (bisher waren es drei in den letzten Wochen) zu einem Event. Es geht damit los, dass der Teil meines Kleiderschrankes, der im Home Office ausgegraut ist, wieder freigeschalten wird. Als ich im Winter ein paar persönliche Termine weges meines Umzugs hatte, habe ich jedes verdammte Mal ein Kleid getragen, denn ganz ehrlich: Ich habe weit weniger Ausverlassungen jeseits Supermarktlevel, als Kleider.

Dann dachte ich: Ich kann ja nicht immer Kleider tragen, that’s not me, da passt ja dann mein 3D-Modell in den Köpfen anderer Menschen gar nicht mehr zu mir. Letztes Mal trug ich eine Jeans. Das bedeutet: Heute wieder ein bisschen mehr Freiheit, ohne die Statistik komplett zu verfälschen. Ich entschied mich für den einzigen neuen Kram dieses Jahr – Ich wollte nämlich auch einmal was von dariadéh besitzen, und die notwendigen Schritte habe ich letztens eingeleitet. Nachdem ich lange dariadaria nicht besonders intensiv verfolgte, weil ich Angst hatte, ich muss dafür ganz tief durch die oftmals ziemlich feindselige Nachhaltigkeits-Kommentatorenschaft tauchen, bin ich jetzt Fan geworden. Und ich muss sagen, dass ich natürlich Vorurteile hatte. Feindselige sind gar nicht willkommen.

Jedenfalls: Ich kaufte mir zwei Teile. Die Sachen sind so, wie in den Kommentaren geschwärmt wird: sehr bequem und mit brauchbaren Hosen-/Kleidtaschen. Konnte ohne Handtäschi in die Kantine gehen! (Ich hoffe, der dünne Stoff hält auch lange, aber ich fürchte nicht.) Was mich aber noch mehr fasziniert: Zusammen sehen das Top und die Hose aus wie ein Jumpsuit. Das hatte ich vor dem ersten Anziehen gar nicht geahnt. Aber! Es! Ist! Keiner! Das würde ich am liebsten allen erzählen, aber niemand fragt danach: Also muss ich es hier tun.

Kurzer Einwurf für alle, die noch nie einen Jumpsuit getragen haben: Jumpsuits sind irgendwie ganz cool, aber haben einen entscheidenden Nachteil. Wenn man seine Toilettengänge im Sitzen absolviert, muss man den gesamten Körper oberhalb der Kloschüssel freilegen und das ist unangenehm. Das wär schon zuhause unangenehm, aber Jumpsuits sind ein Nicht-Zuhause-Kleidungsstück (Im Gegensatz zu Onesies) und dann sitzt man da relativ nackt unangezogen auf einer Büro, Restaurant oder Club-Toilette. (Emotionen dabei bei jeder Toilettenlokation unterschiedlich, aber nie positiv)

Ich spüre also die Blicke von Jumpsuit-Veteran*innen sehr intensiv, wenn ich diesen Nicht-Jumpsuit trage. Habe mir auch schon bestätigen lassen: Ja, häufig ist die erste Assoziation akutes Toilettenmitleid. Das würde ich selbst ja auch nicht anders fühlen. Ich könnte natürlich die Teile so anziehen, dass die Jumpsuit-Illusion durchschaut werden kann, aber will ich das? „Jumpsuit“ hat einen sehr guten Ruf, wahrscheinlich, weil es „suit“ enthält. Jumpsuits sind fesch. „Sehr bequemer Zweiteiler“ klopft an der Lounge-Kleidung, und fühlt sich schon wieder nicht nach Hausverlassung an. Ugh. Also muss wohl oder übel der Nicht-Jumpsuit unser Geheimnis bleiben.

Es ist mir nicht geglückt, ein Ganzkörperfoto auf der Bürotoilette zu schießen, und für die Fahrradfahrt nach Hause zog ich mir echte Lounge-Kleidung an. Aber immerhin ein Versuch, um die Jumpsuit-Causa zu illustrieren:

Pardon, falls sich jemand etwas Spektakuläreres vorgestellt hat. Ich sehe ein bisschen aus, als wollte ich jemanden operieren. (Ist okay, es laufen in der Arbeit ja immer viele Menschen in Blaumännern herum, die Flugzeuge operieren. Man kann es als eine Hommage dafür sehen.) Aber es ist ja auch egal, für Fairness und Statistik war das vielleicht der einzige Jumpsuit-Auftritt dieses Quartal. Oder dieses Jahres, je nachdem wie sich Bürogehen entwickelt.

Und dann gab es heute noch Eis. Wenn man schon wenige Kollegen trifft, dann wenigstens Die Guten™.

Kurze Fußnote

Ich habe mir vielleicht den Zeh gebrochen.

Um das zu bewerkstelligen, wendete ich eine jahrtausend alte Methode an: Ich übersah ein Stuhlbein und es gab keinen Grund, das zu tun. Ich trug zur Tatzeit ordnungsgemäß eine Sehhilfe, stand nicht unter Substanzen, die meine Wahrnehmung hätten beeinträchtigen können, und im Wohnzimmer herrschte ausgezeichnete Sicht. Trotzdem prallte ich mit dem hinteren Zehenensemble frontal gegen unerbittlich harte Stuhlsubstanz. Der mittlere Zeh des verwickelten Zehenenseble, also der vierte (von links) lokalfüßig betrachtet, der neunte (von links) insgesamt (Ich denke, der allgemeine Zehenzählkonses zählt Zehen lokalfüßig von der großen Zehe aus betrachtet, dass in diesem Fall beides „von links“ ist, ist also Zufall), den hat es am schlimmsten getroffen. Er ist vielleicht gebrochen.

Dieser Vielleicht-Zehenbruch wirbelt nun mein Weltbild gehörig durcheinander. Man muss sich das ein bisschen wie Schrödingers Katze vorstellen, nur in sehr, sehr langweilig. Im Prinzip kann man bei einem Zehenbruch nichts tun: Ein bisschen an den Zeh nebenankleben kann man ihn. Also schickt man den Zeh auch nicht zum Arzt, und so kann er gebrochen und ungebrochen sein, eventuell auch beides gleichzeitig, aber es macht keinen Unterschied. Man hat also diese faszinierende Ambiguität am eigenen Haxen festgewachsen, aber es ist egal. Der Zeh definiert sich jetzt mit dieser Tatsache vollkommen neu, schmerzt manchmal (Bruch! Bruch!) oder absolut nicht (Hmpf), und beschränkt sein gelegentliches Farbenspiel auf dezentere Nuancen.

Ich habe ausgiebig nachgedacht, ob sich aus der Frage „Zehenbruch Ja/Nein“ unterschiedliche lebensgeschichtliche Pfade ableiten könnten, kam jedoch zu keinem bahnbrechenden Ergebnis. Menschen mit ungebrochenen Zehen und Menschen mit temporär gebrochenen Zehnen leben friedlich untereinander und sind für den Laien quasi nicht zu unterscheiden. Ich hatte auch folgenden vielversprechenden Ansatz: Nachdem der Zehenbruch in den eigenen vier Wänden (mit eigenen vier Stuhlbeinen – oder weniger) auch für Ungeübte einfach zu realisieren ist, könnte sich da eine effektive Immunmaßnahme gegen Bundesjungendspiele verstecken. Tatsächlich hält das sonst so verlässliche Internet Sport mit Zehenbruch eines Binnenzehs für möglich und präsentierte nicht einmal ein halbes mögliches Todesszenario für neunzehige Schulsportteilnahme. Eine Sackgasse.

Im Zuge dieser Recherche ist mir außerdem dann natürlich nicht entgangen, wie still die Zehenbruch-Rekonvaleszenz-Lobby als Ganzes ist. Möglicherweise ist nur so leise, weil sich alle Leute, die prädestiniert wären, ein Leben für den Zeh zu leben, lieber auf Telegram dem Wendler zuhören. Ich vermisse Leute, die mir ungefragt auf Frameset-Webseiten in Papyrus sagen:

Zehen: menschliche Wurzeln, fragile Erdantennen, Spiegel unserer Stabilität

Ohne solche klaren Indikatoren wird mir ja gar nicht bewusst, wann ich zu viel über Zehen nachgedacht habe. Habe aber im Gefühl, dass der Zeitpunkt jetzt bekommen ist.